London, Ende des 19. Jahrhunderts: Gaslaternen werfen flackerndes Licht auf enge Gassen, der Nebel liegt schwer über der Stadt. Während die Welt auf die grausamen Morde von Jack the Ripper blickt, ereignet sich parallel eine zweite unheimliche Verbrechensserie – nahezu unbeachtet, aber ebenso schockierend. Körperteile tauchen im Wasser auf, sorgfältig zerteilt und an verschiedenen Orten verteilt. Der Täter: ein Phantom.
An einem kühlen Morgen entdeckt ein Schiffer bei Rainham ein in Tuch gewickeltes Paket. Im Inneren: der Torso einer Frau – Kopf und Gliedmaßen fehlen. In den darauffolgenden Wochen werden weitere Teile ihres Körpers aus der Themse und dem Regent’s Canal geborgen. Gerichtsmediziner setzen die grausame „Puzzlearbeit“ zusammen, doch Kopf und oberer Brustkorb bleiben unauffindbar.
Die Experten stellen fest, dass der Täter präzise anatomische Kenntnisse besitzen muss. Die Todesursache bleibt jedoch unklar. Das offizielle Urteil lautet: „Tot aufgefunden“. Kein Hinweis auf den Mörder.
September 1888 – Das Whitehall-Mysterium
Mitten in der Ripper-Hysterie machen Bauarbeiter an der Baustelle des künftigen Scotland-Yard-Gebäudes eine erschütternde Entdeckung: Ein Torso liegt in den Fundamenten. Wenige Tage zuvor war bereits ein menschlicher Arm in Pimlico gefunden worden.
Wieder fehlen Kopf und Beine. Wieder sind die Schnitte präzise – als hätte jemand genau gewusst, wo Gelenke und Sehnen verlaufen. Die Presse tauft den Fall das „Whitehall Mystery“. Und während London von Jack the Ripper in Atem gehalten wird, ahnt kaum jemand, dass ein zweiter Killer sein Unwesen treibt.
Juni 1889 – Die Rückkehr des Grauens
Nach Monaten der Stille glaubt man, die Mordserie sei zu Ende. Doch am 4. Juni 1889 treiben erneut Körperteile im Wasser: zuerst ein Torso bei Horselydown, dann innerhalb weniger Tage über ein Dutzend weiterer Teile entlang der Themse – von Battersea über Limehouse bis nach Chelsea.
Die Ärzte sind sich einig: Der Täter besitzt handwerkliches Geschick wie ein Metzger oder Tierkörperverwerter, aber nicht die feine Präzision eines Chirurgen. Die getötete Frau war im achten Monat schwanger. Trotz fehlendem Kopf kann sie identifiziert werden: Es ist Elizabeth Jackson, eine junge Frau aus Chelsea. Doch auch ihr Name bringt die Ermittler nicht näher an den Täter.
September 1889 – Pinchin Street
Am frühen Morgen des 10. September entdeckt ein Streifenpolizist unter einem Eisenbahnviadukt in Whitechapel den Torso einer weiteren Frau. Blutergüsse deuten auf schwere Misshandlungen kurz vor dem Tod hin. Der Bauch ist verstümmelt, aber ohne die für den Ripper typischen Verletzungen. Kopf und Gliedmaßen fehlen erneut.
Die Polizei erkennt Parallelen zu den früheren Funden und schließt Jack the Ripper als Täter aus. Doch auch hier verliert sich jede Spur.
Bereits vor dieser Serie hatten ähnliche Funde die Stadt erschüttert: die Battersea-Fälle 1873/74 und der Tottenham Court Road Mystery 1884. Ob sie Teil desselben Musters sind, bleibt ungewiss. Die Vermutungen reichen von einem geübten Metzger über einen ehemaligen Medizinstudenten bis zu einem Wanderarbeiter, der spurlos verschwand.
Kein Geständnis, keine gesicherten Beweise, keine Zeugen – nur ein Fluss, der seine Geheimnisse bewahrt. Über 130 Jahre später gilt der Schattenmörder der Themse als eines der rätselhaftesten Kapitel der Kriminalgeschichte.
Während die Welt gebannt auf Jack the Ripper starrte, nutzte dieser Unbekannte die Dunkelheit des Wassers, um kaltblütig zu töten – und für immer zu verschwinden. Bis heute bleibt offen, wer er war und welches Motiv ihn antrieb. Ein Phantom, das London nie wieder losgelassen hat.