Was kann man tun, wenn man den starken Verdacht hat, dass ein Kind Opfer von Misshandlung ist? Es ist eine sehr schwierige Situation, aber eines sollte man auf gar keinen Fall tun: Wegsehen und sich einreden, dass schon alles in Ordnung sein wird.
Besonders bedacht aber sollte man vorgehen, wenn das Kind nicht alleine ist, sondern die Erwachsenen, die wahrscheinlich für sein Elend verantwortlich sind, jede Kontaktaufnahme zu dem Opfer bemerken würden.
Die Kellnerin Flaviane Carvalho hatte zum Glück einen rettenden Geistesblitz, als sie sich unsicher war, ob sie hier jemanden in Not vor sich sah.
Der erst 11-jährige Junge saß mit seiner Familie im Restaurant „Mrs. Potato“ in Orlando, im US-amerikanischen Bundesstaat Florida. Als Flaviane bei ihrer Arbeit an anderen Tischen an dem Kind vorbeilief, wurde sie stutzig.
Die Eltern und das Geschwisterkind des Jungen hatten Essen und Getränke, aber er hatte nichts bekommen. Der Junge saß etwas abseits vom Rest der Familie. Er hatte sichtbare blaue Flecken und Kratzwunden.
Flaviane überlegte, was sie tun könne, ohne dass die Eltern des Jungen misstrauisch würden. Wenn sie merkten, dass sich jemand um den Jungen sorgte, würden sie sicher schnell das Restaurant verlassen und beide Kinder mitnehmen.
Eine Botschaft auf Papier
Da kam Flaviane eine ebenso einfache wie geniale Idee: Sie schrieb die Worte „Bist du okay?“ auf ein Stück Papier, stellte sich damit hinter den Rücken der Eltern, stellte Blickkontakt zu dem Jungen her und hielt das Schild hoch, sodass er es sehen konnte.
Das Kind las die Frage und nickte.
Flaviane schrieb ein zweites Schild. Darauf stand diesmal „Brauchst du Hilfe?“. Sie wiederholte ihren Trick. Der Junge las das Schild und nickte erneut. Die Eltern merkten von alledem nichts.
Flaviane ging sofort zu ihrem Chef und erklärte ihm die Situation. Zusammen riefen die beiden die Polizei.
Als die Polizisten eintrafen, nahmen sie den Jungen beiseite und stellten ihm einige behutsame Fragen. Seine Antworten waren eindeutig. Der 36-jährige Stiefvater des Kindes wurde an Ort und Stelle verhaftet.
Schwer misshandelt
Der Junge wurde ins nächste Krankenhaus gebracht. Dort fand man heraus, dass er nicht nur Blutergüsse am ganzen Körper hatte, sondern auch, dass er unterernährt war und 10 Kilo Untergewicht hatte.
Die Mutter des Jungen wurde wenige Tage später ebenfalls verhaftet.
Der Stiefvater wurde inzwischen der schweren Kindesmisshandlung und einer Reihe anderer Vergehen für schuldig gesprochen.
Erin Lawler vom Polizeibüro Orlando ist sich sicher, dass das misshandelte Kind Flaviane sein Leben verdankt: „Hätte Ms. Carvalho nicht gehandelt, als sie seine Lage sah, dann wäre dieser kleine Junge wahrscheinlich nicht mehr lange bei uns.“
Wir müssen Acht geben auf diejenigen, die in Not sind, und wir müssen etwas unternehmen, damit sich ihre Situation ändert“, sagt Flaviane über ihr beherztes Eingreifen.
Sie hat völlig recht. Hätte sie nicht so schnell und klug gehandelt, sondern sich eingeredet, dies ginge sie nichts an, dann wäre 11-jährige Junge wohl immer noch in der Gewalt seiner Peiniger.